Kanzlei ohne Rechtsanwaltsfachangestellte
In der Rechtsanwaltskanzlei geht es – wie in den meisten Unternehmen – darum, Betriebsausgaben möglichst gering zu halten. Der Gedanke, dass am Büropersonal gespart werden könnte, ist für viele daher naheliegend. Insbesondere im digitalen Zeitalter könnte die Annahme gerechtfertigt erscheinen, möglichst viele Aufgaben an ein virtuelles Sekretariat abzugeben. Spielen wir diesen Gedankengang aus Sicht einer Rechtsanwaltsfachangestellten anhand eines Kanzleialltages durch:
Rechtsanwaltsfachangestellte müssen bereits früh am Morgen Disziplin beweisen, denn meist sind sie die ersten in der Kanzlei. Der Anrufbeantworter muss abgehört, der Mandantenbesuch empfangen und Telefongespräche, die potenzielle neue Mandaten bedeuten können, entgegen genommen werden. Zu Recht könnte man hier einwenden, dass auch Rechtswanwält:innen in der Lage sein werden, diverse Telefongespräche selbst anzunehmen. Das ist richtig – doch was ist zu tun, wenn während eines Termins ein Telefonat eingeht? Es zeugt schließlich von Unprofessionalität, das Mandantengespräch abzubrechen, um ein Telefonat entgegenzunehmen. Im schlimmsten Fall kann dies sogar dazu führen, dass Mandant:innen die Kanzlei nicht noch einmal mandatieren werden. Wirft man einen Blick auf Google-Bewertungen zahlreicher Kanzleien, so wird deutlich, dass bereits das Warten im Wartezimmer von vielen Mandant:innen als unzumutbar empfunden wird.
Doch natürlich unterstützen Rechtsanwaltsfachangestellte Rechtsanwältinnen nicht nur durch die Betreuung des Telefons. Sie übernehmen eine Reihe weiterer wichtiger Aufgaben:
- Postein- und ausgangsbearbeitung
- Fristen und Terminmanagement
- Akten- und Stammdatenpflege
- Einholung von Auskünften
- Erteilung von Zwangsvollstreckungsaufträgen
- Buchungen von Forderungskonten
- Weiterleitung von Fremdgeld
- Abrechnungen der Akten
- Erstellen von Kostenfestsetzungsanträgen
- Materialbestellungen etc.
Natürlich könnte man viele Teile der oben genannten Bereiche auch an ein virtuelles Sekretariat abgeben, das sich um die kaufmännischen Aufgaben kümmert. Doch würde dies mehr Aufwand und Risiko als Nutzen bedeuten. Eine Vertrauensbasis zwischen Rechtsanwältin:innen und einem virtuellen Sekretariat ließe sich in dieser Weise im haftungsrechtlichen Sinn kaum überzeugend begründen. Aus eigener Erfahrung merkt darüber hinaus der Anrufer, dass am anderen Ende des Hörers jemand sitzt, der in die Kanzleistrukturen nicht eingebunden ist.
Und: Nicht nur durch das Telefon können neue Mandate in die Kanzlei „flattern“. Auch im Rechtsanwaltsbereich ist die Bedeutung von Laufkundschaft nicht zu unterschätzen. Insbesondere für Rechtsanwält:innen mit unmittelbarem Sitz am Amtsgericht können Mandate mit einem frisch geholten Beratungshilfeschein verloren gehen. Sicherlich sind das nicht die Mandate, die „das große Geld“ bringen. Gleichwohl schließt sich häufig an die beratende Tätigkeit ein gerichtliches Verfahren an, in welchem Prozesskostenhilfe gewährt werden könnte. Es lässt sich auch nicht ausschließen, dass diese Mandate eine Empfehlung der eigenen Kanzlei an Dritte weitergeben. Hier gilt die Devise: Kleinvieh macht auch Mist!
Auch eine bloße Verfügung der Rechtsanwält:innen, ein Schriftstück an die Mandantschaft zur Kenntnisnahme zu übermitteln, reicht ohne Rechtsanwaltsfachangestellte nicht aus. Ohne Rechtsanwaltsfachangestellte vor Ort können Eilsachen nicht sofort bearbeitet werden. Vielmehr sind Rechtsanwält:innen in diesem Fall selbst dafür verantwortlich, auch diese Aufgaben zu übernehmen. Das Ergebnis: Die Wege werden nicht kürzer, sondern insgesamt länger. Für die genannten Aufgabenbereiche können gut mehrere Arbeitsstunden vergehen, ohne dass Rechtsanwält:innen mit ihrer eigentlichen Arbeit, der Sachbearbeitung, angefangen haben.
Denn auch “kleine Nebenbereiche”, wie beispielsweise das Bearbeiten von Fristsachen oder das Fertigen und Korrekturlesen von Schriftsätzen oder Postsendungen, die die Kanzlei nicht nur virtuell verlassen müssen, fressen am Ende des Tages viel Arbeitszeit und stören den Konzentrationsfluss. Je mehr Aufgabenbereiche Rechtsanwält:innen selbst übernehmen (müssen), desto fehleranfälliger sind sie. Für die eigene Kanzlei sowie auch für die Berufshaftpflicht steht dieser Preis in keinem Verhältnis.